Psychische Gesundheit im Betrieb mit Arbeitsmediziner*in-Betriebsärzte*in

Die Arbeitswelt hat sich rasant verändert und wird sich mit der Digitalisierung in hohem Tempo weiter verändern: Neue Prozesse und Produktionsabläufe führen dazu, dass Arbeit körperlich bei weitem nicht mehr so anstrengend ist wie noch vor wenigen Jahrzehnten. Arbeitsunfälle kommen dank der hohen Sicherheitsstandards viel seltener vor. Eine große Aufgabe der kommenden Jahre wird sein, die Arbeitswelt 4.0 so zu gestalten, dass sie auch den seelischen Bedürfnissen der Menschen besser gerecht wird.

 Rechtliche Grundlagen Psychische Belastungen

Sozialgesetzbuch VII

Arbeitsschutzgesetz

Arbeitssicherheitsgesetz

Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV)

Bildschirmarbeitsplatzverordnung (BildscharbV)

Was Betriebsärzte zur Erhaltung und Wiederherstellung psychischer Gesundheit im Betrieb beitragen können

Betriebsärzte haben als Berater von Unternehmen, Führungskräften und Beschäftigten eine Schlüsselstellung in allen Fragen von Arbeit und Gesundheit. Diese arbeitsmedizinische Empfehlung richtet sich deshalb primär an Betriebsärzte, sekundär an alle weiteren Akteure des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes, da nur in Zusammenwirken aller betrieblichen Akteure Standards etabliert und im betrieblichen Gesundheitsmanagement umgesetzt werden können. Betrieblich tätige Arbeitsmediziner sind Ärztinnen und Ärzte, die aufgrund ihrer medizinischen Ausbildung und der anschließenden auf die Arbeitsumwelt bezogenen Weiterbildung (Facharzt für Arbeitsmedizin/Betriebsmedizin) als Sachverständige in allen Fragen von Arbeit und Gesundheit kompetente und umsetzungsorientierte Konzepte entwickeln können.

 Diese arbeitsmedizinische Empfehlung soll helfen:

  1. Psychische Fehlbeanspruchungen im Betrieb frühzeitig zu erkennen und zu verringern.
  1. Die Beratungskompetenz von Betriebsärzten gegenüber Arbeitgebern und Beschäftigten zu stärken.
  1. Die Arbeitgeber und Betriebs- und Personalräte bei der Optimierung der betrieblichen Rahmenbedingungen zu beraten.
  1. Betriebsärzte zu befähigen, die Beschäftigten bei der Erhaltung ihrer psychischen Gesundheit zu unterstützen.
  1. Betriebsärzten zu ermöglichen, sich auf ein bereits mit Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern abgestimmtes Vorgehen als betriebliches Stufenkonzept zur Bedarfsanalyse zu stützen, Maßnahmen vorzuschlagen und erprobte Interventionen zum Erhalt und zur Förderung psychischer Gesundheit vorlegen zu können.

Erkennen von Gefährdungen für den Erhalt psychischer Gesundheit im Betrieb

Nach dem Selbstverständnis der Betrieblichen Gesundheitsförderung, wie es beispielsweise in der Luxemburger Deklaration festgehalten ist, bedarf es einer umfassenden Strategie, die einerseits zusammen mit Verantwortlichen aller Ebenen entwickelt und umgesetzt wird, andererseits mehrere Maßnahmen kombiniert, die sowohl auf individueller als auch organisatorischer Ebene oder deren Schnittstelle ansetzen. Nur ein sorgfältig geplantes Konzept, das gemeinsam mit den Beschäftigten auf den Weg gebracht wird, hat wirklich gute Chancen auf Erfolg. Spezifsche Zielformulierungen, deren regelmäßige Aktualisierung sowie eine entsprechend fundierte Evaluation zählen ebenfalls zu den Rahmenbedingungen, die zum Erfolg eines Programms zur Förderung der psychischen Gesundheit erheblich beitragen. Ebenso unverzichtbar für das Gelingen ist die gründliche Bedarfsanalyse im Vorfeld. Sie ermöglicht es erst, unternehmensspezifsche Programme für alle Interventionsebenen „maßzuschneidern“, die nachweisbar effektiver und nachhaltiger sind. Das Arbeitsschutzgesetz hat die systematische Beurteilung der Arbeitsbedingungen als zentrale Verantwortung des Unternehmers herausgestellt. Mit dem Arbeitsschutzgesetzes wurde explizit auch die Ermittlung und Beurteilung der psychischen Belastungen aufgenommen.

Die Gefährdungsermittlung und -beurteilung wird vom Gesetzgeber im § 5 des Arbeitsschutzgesetzes gefordert und ist Aufgabe des Arbeitgebers. Betriebs- und Personalräte haben ein Recht auf Mitbestimmung. Unterstützend können betriebliche Experten mitwirken, insbesondere der Betriebsarzt, die Fachkraft für Arbeitssicherheit und, sofern vorhanden, andere innerbetriebliche Ratgeber (Sozialberatung, psychologischer Dienst, Sicherheitsbeauftragte, u. a.).

Bedarfsanalyse – Gefährdungsbeurteilung

Die Gefährdungsermittlung gliedert sich in

  • Erheben der Gefährdungen,
  • Bewerten der Gefährdungen,
  • Psychische Gesundheit im Betrieb
  • technische Lösungen,
  • organisatorische Lösungen,
  • Personen bezogene Lösungen.
  • psychischen Belastungen, wie sie z. B. im Arbeitsschutzgesetz und in der Bildschirmarbeitsverordnung explizit festgehalten sind.

Einteilung psychischer Belastungen

Nach DIN EN 10075-1 „Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung” werden psychische Belastungen als „die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken” definiert.

Psychische Belastungen können sich aus:

  • der Arbeitsaufgabe,
  • der Arbeitsumgebung,
  • der Arbeitsorganisation,
  • psychosozialen Rahmenbedingungen (Mensch-Mensch-Schnittstelle) und
  • weiteren betrieblichen Rahmenbedingungen ergeben. Beispiele hierfür sind:
  • Arbeitsaufgabe, z.B.
  • fehlender Handlungs- und Entscheidungsspielraum
  • fehlende Informationen • Zeitdruck, kurze Taktzyklen
  • häufige, unvorhergesehene Abweichungen im Arbeitsablauf
  • Daueraufmerksamkeit
  • unzureichende Klarheit über Arbeitsabläufe
  • monotone, repetitive Tätigkeiten • Arbeitsumgebung, z.B.
  • nicht angepasster ergonomischer Arbeitsplatz und Arbeitsmittel
  • Umgebungseinflüsse (z.B. Lärm, Schwingungen, Kälte, Hitze)
  • Beleuchtungsmängel
  • Innenraumbelastung
  • Arbeitsorganisation, z.B.
  • mangelnde qualitative und quantitative Anforderungen
  • unzureichende Qualifikationsangebote
  • unzureichende Kooperation, fehlende Kommunikation, fehlende Unterstützung
  • Informationsmangel
  • Arbeitszeitgestaltung/Nacht- und Schichtarbeit
  • häufige Überschreitung der vereinbarten Arbeitszeit
  • Psychosoziale Rahmenbedingungen (Mensch-Mensch-Schnittstelle), z.B.
  • Konflikte, Gruppenverhalten, Vor- gesetztenverhalten
  • widersprüchliche Anweisungen
  • soziale Isolation
  • fehlende Unterstützung und Hilfe- leistungen
  • soziale Konflikte
  • Ärger mit Kollegen, Vorgesetzten und Kunden
  • Weitere betriebliche Rahmenbedingungen, z.B.
  • drohender Arbeitsplatzverlust/Abbau von Arbeitsplätzen in Betrieben
  • befristetes Arbeitsverhältnis
  • Scheinselbständigkeit
  • extreme Überstundenerwartung

 Beratungsanlässe im arbeitsmedizinischen Alltag

Psychische Probleme oder psychische Erkrankungen mit Arbeitsbezug werden aus der subjektiven Sicht der Betroffenen selten in Zusammenhang mit Arbeitsbedingungen gebracht, die mit einfachen Methoden der Arbeitsbewertung oder Arbeitsanalyse objektiv erfassbar sind (Ergonomie, Taktzeiten, Schichtsysteme, usw.). Vielmehr berichten Erkrankte immer wieder über andauernde Konfikte (mit Kollegen und/oder Vorgesetzten), Kränkungen, Enttäuschungen oder fehlende Anerkennung ihrer Leistung, mangelnden Respekt und berufiche Perspektivlosigkeit.

Praktische Vorgehensweise im Betrieb

Es ist auch eine Aufgabe des Betriebsarztes, im Rahmen der Betriebsberatung darauf hinzuweisen, dass gesunde und motivierte Mitarbeiter eine wesentliche Grundlage für ein erfolgreiches Unternehmen sind.

Erkennen psychischer Belastungen und Fehlbeanspruchungen im Betrieb

Unter diesem Punkt sind die wichtigsten Informationsquellen für die Betriebsärzte dargestellt, aus denen für sie wichtige Erkenntnisse über mögliche psychische Belastungen und Fehlbeanspruchungen einzelner Mitarbeiter oder Gruppen von Mitarbeitern im Betrieb resultieren können.

Zu den genannten Informationsquellen zählen:

  • die arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung
  • die Wunschuntersuchung des Mitarbeiters nach § 11 ArbSchG, § 2 ArbMedVV
  • das Gespräch mit dem Unternehmer
  • die Arbeitsplatzbesichtigung, die Betriebsbegehung
  • die Unfalluntersuchung Analyseverfahren
  • die Gefährdungsbeurteilung
  • vorhandene Arbeits- und Gesundheitsschutz-Managementsysteme
  • Gesundheitsberichte
  • Hinweise von behandelnden Ärzten
  • Hinweise von Mitarbeitern oder Angehörigen zu einer Person
  • Hinweise der Personalvertretung oder der Fachkraft für Arbeitssicherheit

Arbeitsmediziner*in-Betriebsärzte*in sollte bei der Gefährdungsbeurteilung hinzugezogen werden.